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Dies sind nun die Früchte meines html-Lernens. Viel Spass!!

Schatten


Es ist dunkel. Aber auch wieder nicht. Es ist finsterste Nacht, aber Vollmond. Zeit für Wehrwölfe und gespenstische Schatten vor dem Fenster.
Das Mondlicht bahnt sich seinen Weg durch die geschlossene Jalosie, zeichnet die Umrisse von Bäumen und Häusern nach.
Zumindest sollte es so sein.
Sie betrachtet die Schatten nachdenklich, es ist alles so merkwürdig verzerrt, sieht die Tanne im Garten wirklich so aus? Ist sie nicht viel kleiner? Und irgendwie nicht so zerrupft.
Sie will sich schon damit abfinden und die Augen schließen, als sie es hört.
Das Geräusch. Ein leises Rascheln, als ob Blätter im Wind bewegt werden. Dazwischen ein Knistern, aber nur ganz vorsichtig. Möglicherweise wieder die Katze aus der Nachbarschaft.
Was auch immer es ist, es zieht sie in ihren Bann. Sie wagt es kaum zu atmen, oder sich zu bewegen, ja keinen Laut von sich zu geben, der ablenken könnte.
Es ist keine Angst, nur wissenschaftliche Neugier und die Tatsache, dass sie bei Vollmond nicht richtig schlafen kann.
Bildet sie sich das nur ein, oder kommt das Geräusch tatsächlich näher?
Aufeinmal ist ihr, als könnte sie ganz genau hören, wie etwas geradewegs auf ihr Fenster zukommt. Jeder ihrer Sinne ist bis aufs höchste sensibilisiert, sie spürt die Falten ihrer dünnen Decke auf der Haut, spürt ihr Gewicht auf ihrem Körper lassten. Und hört ein Kieselsteinchen rollen, auf der Terasse vor ihrem Fenster, und noch eins. So, als würde man es ausversehen mit dem Fuss streifen und dabei einige Millimeter weiterschieben. Es ist mehr so eine Ahnung des Geräusches.
Sie verkrallt ihre Finger in der Decke, am liebsten würde sie sich jetzt einfach umdrehen und einschlafen, aber sie ist wie gelähmt. Da ist etwas da draußen, das weiß sie.
Unentwegt starrt sie das Spiel der Schatten auf ihre Jalosie an. Je länger sie dies tut, desto mehr Schattierungen heben sich hervor, bald kann sie Äste vom Stamm unterscheiden, lediglich anhand winziger Nuancen in den Graustufen.
Da ist jedoch noch etwas anderes, ein kaum wahrnehmbarer Schatten, eine Bewegung erst, dann nur noch ein Umriss, und zwar direkt vor ihrem Fenster.
Es ist wieder ganz still, nichteinmal das Rascheln ist noch auszumachen.
Wie hypnotisiert kann sie den Blick nicht abwenden, der Schatten, er wird nach oben hin schmaler, fast so, als wäre dort ein Kopf.
Sie kann sich partout nicht abwenden, sich schlafend stellen, Licht machen oder irgendetwas.
Sie ist starr vor Angst, traut sich nichtmal mehr zu atmen. Wenn er sieht, das niemand da ist, vielleicht geht er dann wieder.
Aber er rührt sich nicht.
Ihr Handy liegt eine Armlänge von ihrem Kopfkissen entfernt auf dem Nachttisch, ganz langsam streckt sie ihren Arm aus, lässt ihre Finger suchend über das kühle Holz tasten.
Es gibt einen dumpfen Knall und das Telefon befindet sich irgendwo auf dem dunklen Fussboden.
Entsetzt reißt sie den Arm wieder unter die Decke.
Ihre Verbindung zur Außenwelt ist jetzt außer Reichweite und mit ihr auch ihr letztes bißchen Mut.
Das Etwas draußen ist immer noch da.
Sie hat keine Ahnung, wie lange sie es nun schon anstarrt, aber mit der Zeit werden immer mehr Details deutlich. Die Umrisse gleichen ständig mehr einem Menschen, sie meint schon die Schultern zu sehen und einen Kopf . Ohne es zu wollen fixiert sie nun den Kopf und plötzlich sind sie da, Augen, die sie beobachten, unnahbar und undurchdringlich, gar nicht recht zum Rest zugehörig, einfach nur Augen.
Ihr perlt der Schweiß über die Stirn, sie will schreien, bekommt aber keinen Ton heraus, sie will weglaufen, hat aber keinerlei Kontrolle mehr über ihre Motorik.
Da ist er plötzlich weg. Von einem Moment auf den anderen.
Erleichterung, unglaubliche Erleichterung macht sich in ihr breit.
Doch dann kommt ihr ein Gedanke. Wenn es jetzt so eindeutig weg ist, dann war da draußen tatsächlich etwas.
Etwas, dass zu ihrem Fenster gegangen ist, sie lange angestarrt hat und wieder gegangen ist, nachts, auf dem Dorf.
Schüttelfrost überkommt sie, wie sehr wünscht sie sich, der Schatten wäre noch da und stellt sich als Sonnenschirm oder als ähnlich harmlos heraus.
Das Blut rauscht ihr wie ein reißender Fluss durch die Ohren und doch entgeht ihr das Scharren nicht.
Aber nicht am Fenster.
Eher Richtung Haustür, auf der anderen Hausseite.
Vielleicht der Wind, wie er Äste an die Tür drückt?
Das könnte wohl sein, wenn in der Nähe der Tür Bäume stehen würden, was jedoch nicht der Fall ist. Und windig ist es schon gar nicht.
Ihre Fingernägel bohren sich verwzeifelt in ihre Handflächen, nichteinmal der entstehende Schmerz schafft, sie zu beruhigen.
Die Dunkelheit lastet auf ihr wie Blei, sie drückt sie nieder, nimmt ihr die Luft zum atmen, fesselt ihr Arme und Beine. So sehr sie sich auch anstrengt, sie wollen sich nicht bewegen, ihr Körper liegt wie tot unter der Decke und sie wünscht sich nichts sehnlicher als einen schnellen Tot zu sterben. Aber dieser Wunsch wird nicht in Erfüllung gehen.
Das Scharren verwandelt sich in ein Kratzen, dann ist der Schlüssel im Schloss.
Panisch versucht sie sich dran zu erinnern, wer alles einen Schlüssel hat.
Sie selbst hat einen, der andere ist bei ihren Eltern gewesen aber sie hat ihn letztens zurückverlangt, was bedeutet, er liegt in ihrem Schreibtisch, keine zwei Meter von ihr.
Sofort wird ihr klar, was das bedeutet, wer auch immer da gerade ihre Tür geöffnet hat, sie hat ihm keinen Schlüssel gegeben.
Und er wird zu ihr ins Zimmer kommen, jetzt gleich, er wird sie töten oder vergewaltigen oder beides. Und sie wird weder schreien noch sich wehren können, sie wird einfach daliegen wie eine Puppe und alles mit sich machen lassen, so, als wäre sie einzementiert.
Ihr kommen die Tränen, sie will nicht sterben, sie will endlich aufwachen.
Doch heute ist nicht ihr Tag, hätte sie ihr Horoskop gelesen, wüsste sie das.
Es nähern sich gedämpfte Schritte ihrer Tür, sie kommen zielstrebig näher, ganz gleichmäßig ertönen sie, bis sie plötzlich aufhören.
Er ist also da, vor ihrer Zimmertür. Nur noch wenige Zentimeter Sperrholz trennen sie.
Ein tiefes Atmen ist zu hören, direkt an der Tür, ganz langsam, aber mit einer beängstigenden Regelmäßigkeit.
Es ist erstaunlich, wie gleichgültig sie dies alles wahrnimmt, fast so, als würde sie weit weg über dem Haus schweben und sich die Sache einfach nur ansehen. So fällt ihr auch ihre eigene bleiche Gesichtsfarbe auf, und die schreckendsgeweiteten Augen, als würde sie dem Tod persönlich ins Auge blicken.
Dabei kann sie ihn doch gar nicht sehen, er betritt das Zimmer ohne Licht zu machen und auch vom Flur fällt keines rein.
Ihr fällt auf, wie sie denkt, dass es ziemlich schrecklich sein muss, seinen Mörder zu hören, wie er über den Teppich schleicht, ihn spürt, wie er ein Kopfkissen greift und einem dieses kurz später ins Gesicht drückt.
Aber dann bekommt sie keine Luft mehr, bäumt sich einmal kurz auf , will schreien, hat jedoch Kissen im Mund und verliert das Bewusstsein bevor sie stirbt.


written by Andrea Reichstein, 2005